Regen und Rolf

„So ein Mist!“

Marion schimpft. Sie bleibt im Eingang des Supermarktes stehen. Mit ihrem vollen Einkaufskorb.

Sie bleibt plötzlich stehen, weil es regnet. Und es regnet heftig. Mehr als das: Es regnet unfassbar doll. Es pladdert. Es schüttet. Wie aus Eimern!

Ihr Fahrrad ist sicher schon ganz nass.

Marion möchte jetzt nicht auch noch nass werden.

Und die Einkäufe sollen auch nicht nass werden. Die waren teuer genug.

Einen Schirm hat sie nicht dabei. Wozu auch? Auf dem Fahrrad nützt ein Schirm nichts. Damit kann man nicht fahren. Das ist ja gefährlich, den Schirm halten und einhändig lenken.

Neben ihr steht jetzt ein Mann.

Der schimpft auch. Nur anders.

Er sagt: „Ach du Kacke, na das passt ja wieder wie Arsch uff Eimer.“

Marion muss lachen. Sie guckt ihn an.

Er ist groß. Er hat einen Drei-Tage-Bart. Aber fast keine Haare.

Er trägt einen Anzug. Etwas sehr Schickes. Wie eine Uniform sieht der Anzug aus.

Der Mann riecht gut. Ein Duft wie … Marion fällt kein Wort dazu ein.

Aber der Mann riecht frisch. Wie eine Meeres-Brise.

Der Mann guckt zu Marion und lächelt.

„Na, stimmt doch, oder? Wie Arsch auf Eimer. Da will man nur mal kurz einkaufen und schon geht die Welt unter.“

„Hoffentlich nicht“, sagt Marion. Wenn die Welt untergeht, möchte sie nämlich bei ihrer Tochter sein. Dann können sie sich aneinander festhalten.

„Ja, stimmt. Eigentlich ist die Welt ja schön.“ Das sagt der Mann.

Und Marion fällt keine Antwort ein. Denn manchmal findet sie Welt nicht so schön. Aber manchmal doch.

Aber das alles in eine Antwort zu bringen, das ist zu schwierig.

Der Mann fragt: „Müssen Sie auch zum Bus?“

Marion sagt: „Nein. Zum Fahrrad.“

„Ach, schade.“

„Wieso?“

„Sonst hätten wir zusammen auf den Bus warten können.“

„Können wir ja.“ Manchmal ist Marion richtig schlagfertig. Dann fallen ihr gute Antworten ein. Lustig. Und nett. So wie diese eben.

Denn Marion denkt: Wenn wir hier rumstehen und er wartet auf den Bus, dann warten wir doch zusammen auf den Bus.

Der Mann schaut sie fragend an und fragt: „Also kommen Sie mit zur Haltestelle?“

Marion schaut ihn belustigt an und sagt: „Nein. Aber wir warten doch schon zusammen.“

„Ach sooo“, antwortet der Mann und schlägt sich die Hand vor die Stirn. „Manchmal bin ich echt langsam.“

Er lacht wieder.

Marion lacht auch und sagt: „Das macht nichts.“

„Ich bin Rolf.“

Von diesem Satz ist Marion überrascht. Und weiß nicht, was sie sagen soll.

Darum sagt sie nichts. Und guckt auf ihre Schuhe.

Der Mann sagt: „Entschuldigung, ich dachte nur …“

Und Marion entgegnet: „Ja. Ist gut. Danke.“

Jetzt ist Marion nicht schlagfertig. Sie ist schüchtern. Sie weiß nicht, wie sie reagieren soll. Da sagt sie rasch: „Der Bus!“

Der Mann schaut raus zur Haltestelle. Er schlägt den Kragen seiner Jacke hoch. Und rennt los. Vorher sagt er noch schnell: „Tschüss dann.“

„Tschüss“, sagt auch Marion. Und dann ist ihr plötzlich etwas ganz klar. Sie muss es ihn noch wissen lassen.

„Ma-riiii-onnn“, ruft sie laut in den prasselnden Regen hinaus.

Ob Rolf das gehört hat?

Marion hofft es sehr.

Und da sieht sie, wie Rolf im Laufen den linken Arm hochhebt. Er winkt. Er winkt rückwärts. Denn er läuft weiter zum Bus.

Marion drückt ihm die Daumen, dass er ihn noch erwischt.

Obwohl … vielleicht sollte sie die Daumen drücken, dass er ihn verpasst.